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148714

(1991) Welt im Widerspruch, Dordrecht, Springer.

Probleme des relativen Sinnes

Stephan Strasser

pp. 100-103

Dem Wahrheitsbegriff eignet eine eigentümliche Brisanz; er ist einem gefährlichen Sprengstoff vergleichbar. Der Sozialphilosoph und der Geschichtsphilosoph begreifen dies leichter als der Erkenntnistheoretiker und der Logiker. Die Letztgenannten werden unter "Wahrheitsethos" ganz einfach eine Haltung des erkennenden Menschen verstehen, die darin besteht, sich bedingungslos zu dem zu bekennen, was er als evident erfaßt hat. Bei Husserl, so kann man sagen, bildet die Forderung solch eines Bekenntnisses ein Leitmotiv, das in seinem gesamten OEuvre wiederkehrt; wir finden es in seinen frühen Werken wie in den Texten aus der Spätzeit. "Was wahr ist, ist absolut, ist `an sich' wahr; die Wahrheit ist identisch Eine, ob sie Menschen oder Unmenschen, Engel oder Götter urteilend erfassen", heißt es in den "Logischen Untersuchungen" (LU I, 117). Dabei unterscheidet Husserl nicht so wie Leibniz zwischen "Tatsachenwahrheiten" und "metaphysischen Wahrheiten". Dem Urteil "Es herrscht heute schönes Wetter" wohnt, sofern es jetzt und hier wahr ist, derselbe Absolutheitsanspruch inne wie dem berühmten pythagoräischen Lehrsatz. Die negative Konsequenz von Husserls Wahrheitsethos bildet seine leidenschaftliche Ablehnung aller Formen von Skeptizismus. Dabei ist er überzeugt, daß der Relativismus in allen seinen Gestalten nichts anderes ist als eine Abart des Skeptizismus (LU I 110-191). An dieser Haltung Husserls ändert sich, so scheint es zunächst, nichts. In seinem Wiener Vortrag vom Mai 1935 etwa spricht er geringschätzig von der "traditionell gebundenen Alltagswahrheit" und stellt ihr eine "identische allgültige Wahrheit, eine Wahrheit an sich" als leuchtendes Ziel aller Erkenntnisbemühungen gegenüber (Hua VI, 332).

Publication details

DOI: 10.1007/978-94-011-2484-3_28

Full citation:

Strasser, S. (1991). Probleme des relativen Sinnes, in Welt im Widerspruch, Dordrecht, Springer, pp. 100-103.

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