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195989

(2015) Der Wiener Kreis, Dordrecht, Springer.

Wittgenstein und der Wiener Kreis

Denkstil und Denkkollektiv

Friedrich Stadler

pp. 225-240

Was das Verhältnis zwischen Wittgenstein und dem Wiener Kreis angeht, vermittelt die gängige Historiographie das Bild einer fast einseitigen Rezeption, einer direkten Beeinflussung des Wiener Kreises durch den frühen Wittgenstein. In der Tat scheinen derartige stereotype Erklärungsmuster von den Selbstdarstellungen einiger Mitglieder des Wiener Kreises bestätigt zu werden. Und in der Programmschrift Wissenschaftliche Weltauffassung. Der Wiener Kreis (1929) wird die Einstellung des Zirkels um Moritz Schlick mit Wittgensteins Diktum illustriert: "Was sich überhaupt sagen läßt, läßt sich klar sagen." Mit diesem Zitat sollte die antimetaphysische Haltung als gemeinsames Ziel unterstrichen werden. Die daran anschließende Behauptung, die wissenschaftliche Weltauffassung kenne "keine unlösbaren Rätsel", lenkte die Wittgenstein-Rezeption des Wiener Kreises – zumindest seines "linken Flügels' um Hans Hahn, Rudolf Carnap und Otto Neurath – freilich in eine Richtung, die den Ambitionen Wittgensteins diametral zuwiderlaufen musste. Denn nicht die Mobilisierung eines philosophischen Kollektivs als "antimetaphysischer Stoßtrupp" war dessen Intention, sondern – wie wir inzwischen hinlänglich wissen – Sprachkritik und klärende Gedankenarbeit als moralisches und therapeutisches Anliegen im Sinne von Karl Kraus, Adolf Loos und Arnold Schönberg: ein philosophisches Gegengewicht zum manierierten Feuilleton und zum metaphysischen Leerlauf der Sprache.

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-319-16048-1_6

Full citation:

Stadler, F. (2015). Wittgenstein und der Wiener Kreis: Denkstil und Denkkollektiv, in Der Wiener Kreis, Dordrecht, Springer, pp. 225-240.

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