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220223

(2016) Alfred Andersch, Stuttgart, Metzler.

Realitätsreferenzen, inadäquate Erzähler und verantwortungsfreie Zonen

Zu Alfred Anderschs Roman Efraim im Kontext des Diskurses der Holocaust- und Lagerliteratur

Sascha Feuchert

pp. 163-177

»Sentimentalität und Gewissensbisse, Sex und Auschwitz, Binsenweisheiten und herbes Aroma, der Mief der Provinz und der Duft der großen weiten Welt – diese Mischung gefällt.«1 Marcel Reich-Ranicki war nicht eben zimperlich, als er in der ZEIT vom 3. November 1967 Alfred Anderschs Roman Efraim als peinlichen Fehlschlag einordnete.2 Der prominente Kritiker läuft in seiner Rezension zu so großer Form auf, dass er sie einige Jahre später in seine Sammlung Lauter Verrisse aufnehmen wird, die Reich-Ranickis größter Bucherfolg werden sollte. Damit hat »MRR« nicht unwesentlich zur Einordnung des Romans beigetragen, der in den 1990ern dann noch einmal prominent in der von Ruth Klüger vorbereiteten und schließlich von W.G. Sebald ausgelösten Andersch-Debatte auftauchen sollte. Für Klüger war Efraim Ausdruck der dem Autor generell attestierten »Wiedergutmachungsphantasie«3, bei Sebald ist der Roman ein wesentlicher Teil der Andersch unterstellten »Transsubstantiation von Schuld bzw. Mitschuld in Schuldfreiheit «.4 Das konnte nicht folgenlos bleiben: Der Roman ist zwar immer noch im Buchhandel, doch ist er heute eigentlich nicht mehr Gegenstand eines breiteren literarischen Diskurses. Indizien dafür wären, dass er einer der beiden Andersch-Romane ist, die bei Wikipedia keinen eigenen Eintrag haben, und dass er in keines der bundesdeutschen Kerncurricula für das Fach Deutsch Eingang gefunden hat, die Lektüren für eine schulische Auseinandersetzung mit dem Drittem Reich und der Vergangenheitsbewältigung empfehlen.5 Dieser – ohnehin nur vorsichtig zu formulierende – Befund mag sich nach dem Jubiläumsjahr ändern, denn immerhin taucht Efraim gerade auch in den kritischen Würdigungen zu Anderschs 100. Geburtstag öfter auf. Allerdings muss man wohl gleich eingangs dieses Artikels die Frage stellen, ob zu dem Roman nicht bereits alles Wesentliche gesagt worden ist – oder anders formuliert: Warum soll man ihn einer Relektüre unterziehen?

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-476-05482-1_8

Full citation:

Feuchert, S. (2016)., Realitätsreferenzen, inadäquate Erzähler und verantwortungsfreie Zonen: Zu Alfred Anderschs Roman Efraim im Kontext des Diskurses der Holocaust- und Lagerliteratur, in N. Ächtler (Hrsg.), Alfred Andersch, Stuttgart, Metzler, pp. 163-177.

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