Es ist eine alltägliche Erfahrung, daß die Vorzüglichkeit, mit der ein Künstler seinen Stoff meistert, und daß das entschiedene und oft sichere Urteil, mit dem er Werke seiner Kunst abschätzt, nur ganz ausnahmsweise auf einer theoretischen Erkenntnis der Gesetze beruht, welche dem Verlauf der praktischen Betätigungen
ihre Richtung und Anordnung vorschreiben und zugleich die wertenden Maßstäbe bestimmen, nach denen die Vollkommenheit oder Unvollkommenheit des fertigen Werkes abzuschätzen ist. In der Regel ist der ausübende Künstler nicht derjenige, welcher über die Prinzipien seiner Kunst die rechte Auskunft zu geben
vermag. Er schafft nicht nach Prinzipien und wertet nicht nach Prinzipien. Schaffend folgt er der inneren Regsamkeit seiner harmonisch gebildeten Kräfte, und urteilend dem fein ausgebildeten künstlerischen Takt und Gefühl. So verhält es sich aber nicht allein bei den schönen Künsten, an die man zunächst
gedacht haben mag, sondern bei den Künsten überhaupt, das Wort im weitesten Sinne genommen. Es trifft also auch die Betätigungen des wissenschaftlichen Schaffens und die theoretische Schätzung seiner Ergebnisse, der wissenschaftlichen Begründungen von Tatsachen,
matiker,
bloße Unvollständigkeit, mit der sie die Wahrheiten ihres Gebietes erforschen, sondern den Mangel an innerer Klarheit und Rationalität, die wir unabhängig von der Ausbreitung der Wissenschaft fordern müssen. In dieser Hinsicht darf auch die Mathematik, die fortgeschrittenste aller Wissenschaften, eine Ausnah
mestellung nicht beanspruchen. Vielfach gilt sie noch als das Ideal aller Wissenschaft überhaupt; aber wie wenig sie dies in Wahrheit ist, lehren die alten und noch immer nicht ┌endgültig┐
nären. Dieselben Forscher, die mit unvergleichlicher Meisterschaft die wundervollen Methoden der Mathematik handhaben und sie um neue bereichern, zeigen sich oft gänzlich unfähig, von der logischen Triftigkeit dieser Methoden und den Grenzen ihrer berechtigten Anwendung ausreichende Rechenschaft zu geben. Ob
schon nun die Wissenschaften trotz dieser Mängel groß geworden sind und uns zu einer früher nie geahnten Herrschaft über die Natur verholfen haben, so können sie uns doch nicht theoretisch Genüge tun. Sie sind nicht kristallklare Theorien, in denen die Funktion aller Begriffe und Sätze völlig begreiflich, alle Voraus
Setzungen genau analysiert, und somit das Ganze über jeden theoretischen Zweifel erhaben wäre.
Um dieses theoretische Ziel zu erreichen, bedarf es, wie ziemlich
allgemein anerkannt ist, fürs erste einer Klasse von Untersuchungen, die in das Reich der Metaphysik gehören.
Die Aufgabe derselben ist nämlich, die ungeprüften, meistens sogar unbemerkten und doch so bedeutungsvollen Voraussetzungen metaphysischer Art zu fixieren und zu prüfen, die mindestens
sionalen Euklidischen, die Zeit den einer eindimensionalen orthoiden Mannigfaltigkeit hat; daß alles Werden dem Kausalitätsgesetz unterliegt usw. Unpassend genug pflegt man diese durchaus in den Rahmen der Ersten Philosophie des Aristoteles gehörigen Voraussetzungen gegenwärtig als erkenntnistheoreti
sche zu bezeichnen.
Diese metaphysische Grundlegung reicht aber nicht aus, um die gewünschte theoretische Vollendung der Einzelwissenschaften zu erreichen; sie betrifft ohnehin bloß die Wissenschaften, welche es mit der realen Wirklichkeit zu tun haben, und das tun doch
nicht alle, sicher nicht die rein mathematischen Wissenschaften, deren Gegenstände Zahlen, Mannigfaltigkeiten u. dgl. sind, die unabhängig von realem Sein oder Nichtsein als bloße Träger rein idealer Bestimmungen gedacht sind. Anders verhält es sich mit einer zweiten Klasse von Untersuchungen, deren theoretische
Erledigung ebenfalls ein unerläßliches Postulat unseres Erkennt-nisstrebens bildet; sie gehen alle Wissenschaften in gleicher Weise an, weil sie, kurz gesagt, auf das gehen, was Wissenschaften überhaupt zu Wissenschaften macht. Hierdurch aber ist das Gebiet einer neuen und, wie sich alsbald zeigen wird, komplexen
Disziplin bezeichnet, deren Eigentümliches es
Die Möglichkeit und die Berechtigung einer solchen Disziplin — als einer zur Idee der Wissenschaft gehörigen normativen und praktischen Disziplin — kann durch folgende Überlegung begründet werden.
Wissenschaft geht, wie der Name besagt, auf Wissen. Nicht als
ob sie selbst eine Summe oder ein Gewebe von Wissensakten wäre. Objektiven Bestand hat die Wissenschaft nur in ihrer Literatur, nur in der Form von Schriftwerken hat sie ein eigenes, wenn auch
staltungen, die, wie sie aus Wissensakten vieler Einzelner hervorgegangen sind, wieder in eben solche Akte ungezählter Individuen übergehen können, in einer leicht verständlichen, aber nicht ohne Weitläufigkeiten exakt zu beschreibenden Weise. Uns genügt hier, daß die Wissenschaft gewisse nähere Vorbedingungen für die
Erzeugung von Wissensakten beistellt bzw. beistellen soll, reale Möglichkeiten des Wissens, deren Verwirklichung von dem "normalen" bzw. "entsprechend begabten" Menschen unter bekannten "normalen" Verhältnissen als ein erreichbares Ziel seines Wollens angesehen werden kann. In diesem Sinne also zielt die
Wissenschaft auf Wissen.
Im Wissen aber besitzen wir die Wahrheit. Im aktuellen Wissen, worauf wir uns letztlich zurückgeführt sehen, besitzen wir sie als Objekt eines richtigen Urteils. Aber dies allein reicht nicht aus; denn nicht jedes richtige Urteil, jede mit der Wahrheit überein
stimmende Setzung oder Verwerfung eines
haben; eine Gewißheit, die wir in bekannter Weise scheiden müssen von der blinden Überzeugung, vom vagen und sei es noch so fest entschiedenen Meinen, wofern wir nicht an den Klippen des extremen Skeptizismus scheitern sollen. Bei diesem strengen Begriffe des Wissens bleibt die gemeinübliche Redeweise aber
nicht stehen. Wir sprechen z.B. von einem Wissensakt auch da, wo mit dem gefällten Urteil zugleich die klare Erinnerung verknüpft ist, daß wir früher ein von Evidenz begleitetes Urteil identisch desselben Gehaltes gefällt haben, und besonders, wo die Erinnerung auch einen beweisenden Gedankengang betrifft, aus
dem diese Evidenz hervorgewachsen ist und den zugleich mit dieser Evidenz wiederzuerzeugen wir uns mit Gewißheit Zutrauen. ("Ich weiß, daß der Pythagoräische Lehrsatz ┌wahr ist┐
So fassen wir überhaupt den Begriff des Wissens in einem weiteren, aber doch nicht ganz laxen Sinne; wir scheiden ihn ab
von dem grundlosen Meinen und beziehen uns hierbei auf irgendwelche "Kennzeichen" für ┌das Bestehen┐
der unvergleichlichen Mehrheit der Fälle entbehren wir dieser absoluten Erkenntnis der Wahrheit, statt ihrer dient uns (man denke nur an die Funktion des Gedächtnisses in den obigen Beispielen) die Evidenz für die mehr oder minder hohe Wahrscheinlichkeit des Sachverhalts, an welche sich bei entsprechend "er
heblichen" Wahrscheinlichkeitsgraden das fest entschiedene Urteil anzuschließen pflegt. Die Evidenz der Wahrscheinlichkeit eines Sachver
negativen Wahrscheinlichkeitswerten vernünftige von unvernünftigen, besser begründete von schlechter begründeten Annahmen, Meinungen, Vermutungen zu scheiden vermögen. Im letzten Grunde beruht also jede echte und speziell jede wissenschaftliche Erkenntnis auf Evidenz, und so weit die Evidenz reicht, so weit
reicht auch der Begriff des Wissens.
Trotzdem bleibt eine Doppelheit im Begriff des Wissens (oder was uns als gleichbedeutend gilt: der Erkenntnis) bestehen. Wissen im engsten Sinne des Wortes ist Evidenz davon, daß ein gewisser Sachverhalt ┌ besteht oder nicht besteht┐
ist oder nicht ist; also ist auch die Evidenz davon, daß ein gewisser Sachverhalt in dem oder jenem Grade wahrscheinlich ist, in Beziehung darauf, daß er dies ist, ein Wissen im engsten Sinne; dagegen liegt hier in Beziehung auf ┌den Bestand┐
im weiteren, geänderten Sinne vor. In diesem letzteren spricht
scheinlichkeiten für das P-Sein des S in ihrer Steigerungsfolge asymptotisch annähern.
Zum Begriff der Wissenschaft und ihrer Aufgabe gehört nun aber mehr als bloßes Wissen. Wenn wir innere Wahrnehmungen, einzeln oder gruppenweise, erleben und als daseiend anerkennen,
so haben wir Wissen, aber noch lange nicht Wissenschaft. Und nicht anders verhält es sich mit zusammenhangslosen Gruppen von Wissensakten überhaupt. Zwar Mannigfaltigkeit des Wissens, aber nicht ┌bloße┐
ihr eigentümliche Einheit in der Mannigfaltigkeit des Wissens aus. Eine Gruppe vereinzelter
Begründung des Wissens und gehörige Verknüpfung und Ordnung in der Folge der Begründungen.
Zum Wesen der Wissenschaft gehört also die Einheit des Begründungszusammenhanges, in dem mit den einzelnen Erkenntnissen auch die Begründungen selbst und mit diesen auch die
höheren Komplexionen von Begründungen, die wir Theorien nennen, eine systematische Einheit erhalten. Ihr Zweck ist es eben, nicht Wissen schlechthin, sondern Wissen in solchem Ausmaße und in solcher Form zu vermitteln, wie es unseren höchsten theoretischen Zielen in möglichster Vollkommenheit entspricht.
Daß uns die systematische Form als die reinste Verkörperung der Idee des Wissens erscheint, und daß wir sie praktisch anstreben, darin äußert sich nicht etwa ein bloß ästhetischer Zug unserer Natur. Die Wissenschaft will und darf nicht das Feld eines architektonischen Spiels sein. Die Systematik, die der
Wissenschaft eignet, natürlich der echten und rechten Wissenschaft, erfinden wir nicht, sondern sie liegt in den Sachen, wo wir
Gesetzlichkeit; und so muß auch die Erforschung und Darlegung der Wahrheiten systematisch sein, sie muß deren systematische Zusammenhänge widerspiegeln und sie zugleich als Stufenleiter des Fortschrittes benützen, um von dem uns gegebenen oder bereits gewonnenen Wissen aus in immer höhere Regionen des
Wahrheitsreiches eindringen zu können.
Dieser hilfreichen ┌Stufenleiter┐
tungen
unmittelbarem Innewerden teilhaftig wird? Faktisch stellt sich aber die Evidenz, die den vorgestellten Sachverhalt als ┌beste-hend┐
Gruppe primitiver Sachverhalte unmittelbar ein; unzählige wahre Sätze erfassen wir als Wahrheiten nur dann, wenn sie methodisch "begründet" werden, d.h. in diesen Fällen stellt sich im bloßen Hinblick auf den Satzgedanken, wenn überhaupt urteilsmäßige Entscheidung, so doch nicht Evidenz ein; aber es stellt sich, ge
wisse normale Verhältnisse vorausgesetzt, beides zugleich ein, sowie wir von gewissen Erkenntnissen ausgehen und dann einen gewissen Gedankenweg zu dem intendierten Satze einschlagen. Es mag für denselben Satz mannigfaltige Begründungswege geben, die einen von diesen, die anderen von jenen Erkenntnissen
auslaufend; aber charakteristisch und wesentlich ist der Umstand,
Und daß es sich so verhält, daß wir Begründungen brauchen,
um in der Erkenntnis, im Wissen über das unmittelbar Evidente und darum Triviale hinauszukommen, das macht nicht nur Wissenschaften möglich und nötig, sondern mit den Wissenschaften auch eine Wissenschaftslehre, eine Logik. Verfahren alle Wissenschaften methodisch im Verfolge der Wahrheit,
haben sie alle mehr oder minder künstliche Hilfsmittel in Gebrauch, um Wahrheiten bzw. Wahrscheinlichkeiten, die sonst verborgen blieben, zur Erkenntnis zu bringen, und um das Selbstverständ|liche oder bereits Gesicherte als Hebel zu nützen für die
dürfte doch die
struktion derselben je nach den verschiedenen Klassen von Fällen.
Überlegen wir, um etwas tiefer in die Sache zu dringen, die bedeutsamsten Eigentümlichkeiten dieser merkwürdigen Gedan
kenverläufe, die wir Begründungen nennen.
Sie haben, um auf ein Erstes hinzuweisen, in Beziehung auf ihren Gehalt den Charakter fester Gefüge. Nicht können wir, um zu einer gewissen Erkenntnis, z.B. der des Pythagoräischen Lehrsatzes, zu gelangen, ganz beliebige aus den unmittelbar gegebenen
Erkenntnissen zu Ausgangspunkten wählen, und nicht dürfen wir im weiteren Verlaufe beliebige Gedankenglieder einfügen und ausschalten: soll die Evidenz des zu begründenden Satzes wirklich aufleuchten, die Begründung also wahrhaft Begründung sein.
Noch ein Zweites merken wir alsbald. Von vornherein, d.h.
vor dem vergleichenden Hinblick auf die Beispiele von Begründungen, die uns von überall her in Fülle Zuströmen, möchte es als denkbar erscheinen, daß jede Begründung nach Gehalt und Form
formen eines jeden Sinnes bar und als Gemeinsames bei der Vergleichung irgendwelcher Begründungen immer nur das eine zu konstatieren wäre: Daß eben ein Satz S, der für sich evidenzlos ist, den Charakter der Evidenz er|hält, wenn er im Zusammen-
Erkenntnis von S anknüpfen muß. In keinem einzigen Falle verhält es sich so. Nicht Willkür und Zufall herrscht in den Begründungszusammenhängen, sondern Vernunft und Ordnung, und das heißt: regelndes Gesetz. Kaum bedarf es eines Beispiels zur Verdeutlichung. Wenn wir in einer mathematischen Aufgabe,
die ein gewisses Dreieck ABC betrifft, den Satz anwenden "ein gleichseitiges Dreieck ist gleichwinklig", so vollziehen wir eine Begründung, die expliziert lautet: Jedes gleichseitige Dreieck ist gleichwinklig, das Dreieck ABC ist gleichseitig, also ist es gleichwinklig. Setzen wir daneben die arithmetische Begründung: Jede
dekadische Zahl mit gerader Endziffer ist eine gerade Zahl, 364 ist eine dekadische Zahl mit gerader Endziffer, also ist sie eine gerade Zahl. Wir bemerken sofort, daß diese Begründungen etwas Gemeinsames haben, eine gleichartige innere Konstitution, die wir verständlich ausdrücken in der "Schlußform": Jedes A ist B,
X ist A, also ist XB. Aber nicht bloß diese zwei Begründungen haben diese gleiche Form, sondern ungezählte andere. Und noch mehr. Die Schlußform repräsentiert einen Klassenbegriff, unter den die unendliche Mannigfaltigkeit von Sätzeverknüpfungen der in ihr scharf ausgeprägten Konstitution fällt. Zugleich besteht
aber das apriorische Gesetz, daß jede vorgebliche Begründung, die ihr gemäß verläuft, auch wirklich eine richtige ist, wofern sie überhaupt von richtigen Prämissen ausgeht.
Und dies gilt allgemein. Wo immer wir von gegebenen Erkenntnissen begründend aufsteigen zu neuen, da wohnt dem Begrün
Keine Begründung steht, dies ist die höchst merkwürdige Tatsache, isoliert. Keine knüpft Erkenntnisse an Erkenntnisse, ohne daß, sei es in dem äußerlichen Modus der Verknüpfung, sei es in diesem und zugleich in dem inneren Bau der einzelnen Sätze, ein bestimmter Typus ausgeprägt wäre, der, in allgemeine Begriffe
gefaßt, sofort zu einem allgemeinen, auf eine Unendlichkeit möglicher Begründungen bezüglichen Gesetze überleitet.
Endlich sei noch ein Drittes als merkwürdig hervorgehoben. Von vornherein, d.h. vor der Vergleichung der Begründungen verschiedener Wissenschaften, möchte man den Gedanken
für möglich halten, daß die Begründungsformen an Erkenntnisgebiete gebunden seien. Wenn schon nicht überhaupt mit den Klassen von Objekten die zugehörigen Begründungen wechseln, so könnte es doch sein, daß sich die Begründungen nach gewissen sehr allgemeinen Klassenbegriffen, etwa denjenigen, welche die
Wissenschaftsgebiete abgrenzen, scharf sondern. Ist es also nicht so, daß keine Begründungsform existiert, die zwei Wissenschaften gemeinsam ist, der Mathematik z.B. und der Chemie? Indessen auch dies ist offenbar nicht der Fall, wie schon das obige Beispiel lehrt. Keine Wissenschaft, in der nicht Gesetze auf singuläre Fälle
übertragen ┌würden┐
Erkenntnisgebiet frei werden.
Diese Eigentümlichkeiten der Begründungen, deren Merkwürdigkeit uns nicht auffällt, weil wir allzuwenig geneigt sind,
Daß es Begründungen gibt, reicht in dieser Beziehung nicht
hin. Wären sie form- und gesetzlos, bestände nicht ┌diese┐
die Richtigkeit der Schlüsse dieser ganzen Klasse eben durch ihre Form verbürgt ist, bestände vielmehr in all dem das Gegenteil — dann gäbe es keine Wissenschaft. Das Reden von einer Methode, von einem systematisch geregelten Fortschritt von Erkenntnis zu Erkenntnis, hätte keinen Sinn mehr, jeder Fortschritt wäre Zu
fall. Da würden einmal zufällig die Sätze P1P2... in unserem Bewußtsein Zusammentreffen, die dem Satze S die Evidenz zu verleihen fähig sind, und richtig würde die Evidenz aufleuchten. Es wäre nicht mehr möglich, aus einer zustande gekommenen Begründung für die Zukunft das Geringste zu lernen in Beziehung
auf neue Begründungen von neuer Materie; denn keine Begründung hätte etwas Vorbildliches für irgendeine andere, keine verkörperte in sich einen Typus, und so hätte auch keine Urteilsgruppe, als Prämissensystem gedacht, etwas Typisches an sich, das sich uns (ohne begriffliche Hervorhebung, ohne Rekurs auf
die explizierte "Schlußform") im neuen Falle und bei Gelegenheit ganz anderer "Materien" aufdrängen und
durchprobieren, ob sie als Prämissen für den vorliegenden Satz brauchbar seien? Der Klügste hätte hier vor dem Dümmsten nichts voraus, und ┌es ist fraglich, ob er vor ihm überhaupt noch etwas Wesentliches voraus hätte┐
Denn es gilt allgemein, daß in einer beliebigen psychischen
Komplexion nicht bloß die Elemente, sondern auch die verknüpfenden Formen assoziative bzw. reproduktive Wirksamkeit üben. So kann sich also die Form unserer theoretischen Gedanken und Gedankenzusammenhänge als förderlich erweisen. Wie z.B. die Form gewisser Prämissen den zugehörigen Schlußsatz mit be
sonderer Leichtigkeit hervorspringen läßt, weil uns früher Schlüsse derselben Form gelungen waren, so kann auch die Form eines zu beweisenden Satzes gewisse Begründungsformen in Erinnerung bringen, welche ähnlich geformte Schlußsätze früher ergeben hatten. Ist es auch nicht klare und eigentliche Erinnerung, so ist
es doch ein Analogon davon, gewissermaßen latente Erinnerung, es ist "unbewußte Erregung" (im Sinne B. Erdmanns); jedenfalls ist es etwas, das sich für das leichtere Gelingen von Beweiskonstruktionen (und nicht allein in den Gebieten, wo die argumenta in forma vorherrschen, wie in der Mathematik) höchst
förderlich zeigt. Der geübte Denker findet leichter Beweise als der ungeübte, und warum dies? Weil sich ihm die Typen der Beweise durch mannigfache Erfahrung immer tiefer eingegraben haben und darum für ihn viel leichter wirksam und die Gedankenrichtung bestimmend sein müssen. In gewissem Umfang übt das
wissenschaftliche Denken beliebiger Gattung für wissenschaftliches Denken überhaupt; daneben aber gilt, daß in besonderem Maß und Umfang das mathematische Denken speziell für Mathematisches, das physikalische speziell für Physikalisches prädisponiert usw. Ersteres beruht auf dem Bestande typischer Formen,
die allen Wissenschaften gemein sind, letzteres auf dem Bestande anderer (eventuell als bestimmt gestaltete Komplexionen jener zu charakterisierenden) Formen, die zu der Besonderheit der einzelnen Wissenschaften ihre besondere Be|ziehung haben. Die
Intuition und Divination hängen hiermit zusammen. Wir sprechen von einem philologischen Takt und Blick, von einem mathematischen usw.
Erfindung und Entdeckung beruht so auf den Gesetzmäßigkeiten der Form.
Ermöglicht nach all dem die geregelte Form den Bestand von Wissenschaften, so ermöglicht auf der anderen Seite die in weitem Umfange bestehende Unabhängigkeit der Form
vom Wissensgebiet den Bestand einer Wissenschaftslehre. Gälte diese Unabhängigkeit nicht, so gäbe es nur einander beigeordnete und den einzelnen Wissenschaften einzeln entsprechende Logiken, aber nicht die allgemeine Logik. In Wahrheit finden wir aber beides nötig: wissenschaftstheoretische Untersuchungen,
welche alle Wissenschaften gleichmäßig betreffen, und zur Ergänzung derselben besondere Untersuchungen, welche die Theorie und Methode der einzelnen Wissenschaften betreffen und das diesen Eigentümliche zu erforschen suchen.
So dürfte die Hervorhebung jener Eigentümlichkeiten, die sich
bei der vergleichenden Betrachtung der Begründungen ergaben, nicht nutzlos gewesen sein, auf unsere Disziplin selbst, auf die Logik im Sinne einer Wissenschaftslehre, einiges Licht zu werfen.
Doch es bedarf noch einiger Ergänzungen, zunächst hinsichtlich unserer Beschränkung auf die Begründungen, die
ein für allemal Sinn und Wert empfangen haben, bei ihrer praktischen Verwendung zwar die Leistung, aber nicht den einsichtigen Gedankengehalt von Begründungen in sich schließen; oder
neben ihnen selbständige Bedeutung beanspruchen dürfen.
So ist es z.B., um uns an die zweiterwähnte Methodengruppe anzuschließen, ein wichtiges Vorerfordernis für die Sicherung von Begründungen überhaupt, daß die Gedanken in angemessener Weise zum Ausdruck kommen mittels wohl unterscheidbarer und
eindeutiger Zeichen. Die Sprache bietet dem Denker ein in weitem Umfang anwendbares Zeichensystem zum Ausdruck seiner Gedanken, aber obschon niemand desselben entraten kann, so stellt es doch ein höchst unvollkommenes Hilfsmittel der strengen Forschung dar. Die schädlichen Einflüsse der Äquivokationen
auf die Triftigkeit der Schlußfolgerungen sind allbekannt. Der vorsichtige Forscher darf die Sprache also nicht ohne kunstmäßige Vorsorgen verwenden, er muß die gebrauchten Termini, soweit sie ┌nicht eindeutig sind┐
ein methodisches Hilfsverfahren zur Sicherung der Begründungen, dieser primär und eigentlich theoretischen Prozeduren.
| Ähnlich verhält es sich mit der Nomenklatur. Kurze und
da unerläßlich, wo diese Begriffe mit dem ursprünglichen Vorrat von definierten Ausdrücken nur sehr umständlich zum Ausdruck
Von ähnlichen Gesichtspunkten läßt sich auch die Methode der Klassifikation betrachten usf.
Beispiele zur ersten Methodengruppe bieten uns die so überaus fruchtbaren algorithmischen Methoden, deren eigentümliche Funktion es ist, uns durch künstliche Anordnungen
mechanischer Operationen mit sinnlichen Zeichen einen möglichst großen Teil der eigentlichen deduktiven Geistesarbeit zu ersparen. Wie Wunderbares diese Methoden auch leisten, sie ge
methodischen Verfahrungsweisen zur Feststellung objektiv gültiger Erfahrungsurteile, wie die mannigfaltigen Methoden zur Bestimmung einer Sternposition, eines elektrischen Widerstandes, einer trägen Masse, eines Brechungsexponenten, der Konstanten der Erdschwere usw. Jede solche Methode repräsentiert eine
Summe von Vorkehrungen, deren Auswahl und Anordnung durch einen Begründungszusammenhang bestimmt wird, welcher allgemein nachweist, daß ein so geartetes Verfahren, mag es auch blind vollzogen sein, notwendigerweise ein objektiv gültiges Einzelurteil liefern müsse.
Doch genug der Beispiele. Es ist klar: Jeder wirkliche Fortschritt der Erkenntnis vollzieht sich in der Begründung; auf sie haben daher alle die methodischen Vorkehrungen und Kunstgriffe Beziehung, von denen über die Begründungen hinaus die Logik noch handelt. Dieser Beziehung verdanken sie auch
schen Charakter, der ja zur Idee der Methode wesentlich gehört. Um dieses Typischen willen ordnen sie sich übrigens in die Betrachtungen des vorigen Paragraphen ebenfalls mit ein.
Aber noch einer weiteren Ergänzung bedarf es. Natürlich hat ┌es┐
auch außerhalb der Wissenschaft, und somit ist klar, daß einzelne Begründungen — und ebenso zusammengeraffte Haufen von Begründungen — noch keine Wissenschaft ausmachen. Dazu gehört, wie wir uns oben ausdrückten, eine gewisse Einheit des Begründungszusammenhanges, eine gewisse Einheit in der Stu
fenfolge von Begründungen; und diese Einheitsform hat selbst
natürlichen Provinzen, in die es sich gliedert — nach Möglichkeit zu fördern.
Die Aufgabe der Wissenschaftslehre wird es also auch sein, von den Wissenschaften als so und so gearteten systematischen Einheiten zu handeln, m.a.W. von dem, was sie der
Form nach als Wissenschaften charakterisiert, was ihre wechselseitige Begrenzung, was ihre innere Gliederung in Gebiete, in relativ geschlossene Theorien bestimmt, welches ihre wesentlich verschiedenen Arten oder Formen sind, u. dgl.
Man kann diese systematischen Gewebe von Begründungen
ebenfalls dem Begriff der Methode unterordnen und somit der Wissenschaftslehre nicht bloß die Aufgabe zuweisen, von den Wissensmethoden zu handeln, die in den Wissenschaften auf
sondern auch gültige und ungültige Theorien und Wissenschaften zu scheiden, fällt ihr zu. Die Aufgabe, die ihr damit zugewiesen wird, ist
heiten ist nicht denkbar ohne die vorgängige Erforschung der Begründungen. Jedenfalls liegen beide im Begriffe einer Wissenschaft von der Wissenschaft als solcher.
Nach dem, was wir bisher erörtert haben, ergibt sich die Logik — in dem hier fraglichen Sinne einer Wissenschaftslehre — als eine normative Disziplin. Wissenschaften sind Geistesschöpfungen, die nach einem gewissen Ziele gerichtet und darum auch diesem Ziele gemäß zu beurteilen sind. Und dasselbe gilt von den
Theorien, Begründungen und allem überhaupt, was wir Methode nennen. Ob eine Wissenschaft in Wahrheit Wissenschaft, eine Methode in Wahrheit Methode ist, das hängt davon ab, ob sie
Wissenschaften ihrer Idee entsprechen, oder inwieweit sie sich ihr nähern, und worin sie gegen sie verstoßen. Dadurch bekundet sich die Logik als normative Wissenschaft und scheidet von sich ab die vergleichende Betrachtungsweise der historischen Wissenschaft, welche die Wissenschaften als konkrete Kulturerzeugnisse
der jeweiligen Epochen nach ihren typischen Eigentümlichkeiten und Gemeinsamkeiten zu erfassen und aus den Zeitverhältnissen zu erklären versucht. Denn das ist das Wesen der normativen Wissenschaft, daß sie allgemeine Sätze
eine Idee oder einen obersten Zweck — bestimmte Merkmale angegeben sind, deren Besitz die Angemessenheit an das Maß verbürgt oder umgekehrt eine unerläßliche Bedingung für diese Angemessenheit
Nichtvorhandensein solcher Sachlagen ausgesprochen ist. Nicht als ob sie allgemeine Kennzeichen zu geben brauchte, die besagen, wie ein Objekt überhaupt beschaffen sein soll, um der Grundnorm zu entsprechen; so wenig die Therapie Universalsymptome angibt, so wenig gibt irgendeine normative Disziplin Universalkri
terien. Was uns im besonderen die Wissenschaftslehre gibt und allein geben kann, sind Spezialkriterien. Indem sie feststellt, daß im Hinblick auf das oberste Ziel der Wissenschaften und auf die faktische Konstitution des menschlichen Geistes, und was sonst noch in Betracht kommen mag, die und die Methoden, etwa
M1M2..., erwachsen, spricht sie Sätze der Form aus: Jede Gruppe von Geistesbetätigungen der Arten aß..die in der Komplexionsform M1 (bzw. M2...) sich abwickeln, liefert einen Fall richtiger Methode; oder was gleichwertig ist: Jedes (angeblich) methodische Verfahren der Form M1 (bzw. M2-..) ist ein
richtiges. Gelänge es, alle an sich möglichen und gültigen Sätze dieser und verwandter Art wirklich aufzustellen, dann allerdings enthielte die normative Disziplin die messende Regel für jede angebliche Methode überhaupt, aber auch dann nur in Form von Spezialkriterien.
Wo die Grundnorm ein Zweck ist oder Zweck werden kann, geht aus der normativen Disziplin durch eine naheliegende Erweiterung ihrer Aufgabe eine Kunstlehre hervor. So auch hier. Stellt sich die Wissenschaftslehre die weitergehende Aufgabe, die
unserer Macht unterliegenden Bedingungen zu erforschen, von denen die Realisierung gültiger Methoden abhängt, und Regeln aufzustellen, wie wir in der methodischen Überlistung der Wahrheit verfahren, wie wir Wissenschaften triftig
förderlichen Methoden erfinden oder anwenden, und wie wir uns in allen diesen Beziehungen vor Fehlern hüten sollen: so wird sie zur Kunstlehre von der Wissenschaft. Offenbar schließt diese die normative Wissenschaftslehre ┌ganz┐
gemessen, wenn man den Begriff der Logik entsprechend erweitert und sie im Sinne dieser Kunstlehre definiert.
Die Definition der Logik als einer Kunstlehre ist von alters her sehr beliebt, doch lassen die näheren Bestimmungen in der Regel
zu wünschen übrig. Definitionen wie Kunstlehre des Urteilens, des Schließens, der Erkenntnis, des Denkens (l’art de penser) sind mißdeutlich und jedenfalls zu enge. Begrenzen wir z.B. in der letzterwähnten und noch heute gebrauchten Definition die vage Bedeutung des Terminus "denken" auf den Begriff des richtigen
Urteils, so lautet die Definition: Kunstlehre vom richtigen Urteil. Daß diese Definition aber zu enge ist, geht nun daraus hervor, daß aus ihr der Zweck der wissenschaftlichen Erkenntnis nicht ableitbar ist. Sagt man: der Zweck des Denkens werde ┌vollkommen┐
haft richtig; aber es ist damit auch zugegeben, daß eigentlich nicht das Denken bzw. die Erkenntnis, der Zweck der fraglichen Kunstlehre ist, sondern dasj enige, dem das Denken selbst Mittel ist.
Ähnlichen Bedenken unterliegen die übrigen Definitionen. Sie unterliegen auch dem neuerdings wieder von Bergmann erhobenen Einwande, daß wir in der Kunstlehre einer Tätigkeit — z.B. des Malens, des Singens, des Reitens — vor allem erwarten
müßten, "daß sie zeige, was man tun müsse, damit die betreffende Tätigkeit richtig vollzogen werde, z.B. wie man beim Malen den Pinsel fassen und führen, beim Singen die Brust, die Kehle und den Mund gebrauchen, beim Reiten
in den Bereich der Logik ihr ganz fremdartige Lehren.
zu berücksichtigen und, was sie fördern kann, zu erforschen haben; während die entfernteren Vorbedingungen, welche das Zustandekommen von Erkenntnis überhaupt begünstigen, der Pädagogik, der Hygiene usw. überlassen bleiben. Indessen kommt in Schleiermachers Definition nicht ganz deutlich zum Aus
druck, daß es dieser Kunstlehre auch obliege, die Regeln aufzustellen, denen gemäß Wissenschaften abzugrenzen und aufzubauen sind, während umgekehrt dieser Zweck den der wissenschaftlichen Erkenntnis einschließt. Vortreffliche Gedanken zur Umgrenzung unserer Disziplin findet man in Bolzanos Wissen
schaftslehre, aber mehr in den kritischen Voruntersuchungen als in der Definition, die er selbst bevorzugt. Diese lautet befremdlich genug: die Wissenschaftslehre (oder Logik) sei "diejenige Wissenschaft, welche uns anweise, wie wir ┌die┐