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220554

(1999) Konzepte der Moderne, Stuttgart, Metzler.

Krieg und Krise

Zur anthropologischen Figur des Ersten Weltkriegs

Eva Horn

pp. 633-655

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs ist den Zeitgenossen gleichermaßen Katastrophe und Erlösung. In der Fülle von Publikationen, die den Weltkrieg zum Krieg der Geister1 werden lassen, verbinden sich Chauvinismus, Selbstlegitimation, Zeitdiagnose und Kulturkritik zu jenen »Ideen von 1914«, deren gemeinsamer Nenner das Gefühl eines Aufbruchs, einer zugleich nationalen und individuellen Erneuerung ist. So wird der Krieg zum Befreiungsschlag: er erscheint als das Ende einer kulturellen und gesellschaftlichen Krise, die sich nun im Rausch des nationalen Gemeinschaftsgefühls und der Reinigung zu verflüchtigen scheint. Und es ist diese Krise, genauer: die Diagnose der Moderne als Krise, deren Rhetorik erst jetzt, scheinbar retrospektiv und vom Moment ihrer Lösung her schauend, ihre prägnanteste Form bekommt. Damit markiert der Krieg in der Selbstreflexion der Moderne einen entscheidenden Bruch, der nicht einfach auf die Erschütterungen der realen Kriegserfahrung zurückzurechnen ist, sondern mit der Erwartung zu tun hat, die sich schon vor seinem Ausbruch an ihn knüpfte, und das heißt: mit dem Selbstentwurf einer Kultur, deren interne Aporien der Krieg zugleich sichtbar machen und lösen sollte. Die seit August 1914 allgemein geführte Rede von »Gemeinschaft« und »Deutschtum«, »Totalität« und »Einheitserlebnis«, in der sich gesellschaftliche Differenzierung, politische wie intellektuelle Frontstellungen und Partialinteressen aufheben, will mehr sein als das politische Tagesmotto des »Burgfriedens«.

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-476-05565-1_31

Full citation:

Horn, E. (1999)., Krieg und Krise: Zur anthropologischen Figur des Ersten Weltkriegs, in G. Von Graevenitz (Hrsg.), Konzepte der Moderne, Stuttgart, Metzler, pp. 633-655.

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