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199201

(2015) Von den Werken der Sprache, Stuttgart, Metzler.

Der Wahn vom Sprachverfall und andere Mythen (1986)

Wolfgang Klein

pp. 12-27

Wir sind geneigt, diese Ansicht Johann Christoph Adelungs wie auch die dahinter stehende Betrachtungsweise für nicht bloß falsch, sondern für eine unwissenschaftliche zu halten. Immerhin: Adelung gilt als der bedeutendste deutsche Sprachwissenschaftler vor den Grimms. Goethe hielt ihn für einen Pedanten, aber für einen großen Gelehrten. Das Zitat findet sich in der Einleitung zu seinem Hauptwerk, in dem er eine Fülle von Sprachen betrachtet und einen wenn auch kurzen Text, das Vaterunser, in hunderten von Sprachen und Dialekten anführt und vergleicht; seine Kenntnisse waren sicher beschränkt, gemessen am heutigen Stand des Wissens, aber wahrscheinlich immer noch breiter als die der meisten unter uns, und was ihre Oberflächlichkeit angeht, so bin ich mir nicht ganz im klaren, ob unsere heutigen sprachvergleichenden und sprachtypologischen Untersuchungen allemal so viel tiefer bohren; es gibt einige Fälle, die eher auf das Gegenteil deuten. Und schließlich zeichnet sich ja, der allseits so beifällig aufgenommenen Wissenschaftstheorie Sir Poppers zufolge, das wissenschaftliche Vorgehen eben dadurch aus, daß es mit starken Hypothesen und Theorien arbeitet, die sich dann, da eine Verifikation nicht möglich ist, möglicherweise falsifizieren lassen — dies um so besser, je stärker sie sind. So gesehen war Adelung ein wirklicher Wissenschaftler nach modernsten Maßstäben, denn sichtlich hat er klare Worte und eindeutige Festlegungen nicht gescheut. Aber natürlich sind wir gar nicht gewillt, seine These ernsthaft unter dem Gesichtspunkt von Verifikation und Falsifikation zu betrachten.

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-476-05420-3_2

Full citation:

Klein, W. (2015). Der Wahn vom Sprachverfall und andere Mythen (1986), in Von den Werken der Sprache, Stuttgart, Metzler, pp. 12-27.

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