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208818

(1995) Einführung in die Literaturwissenschaft, Stuttgart, Metzler.

Medienwelten

Wolfgang Struck

pp. 395-401

Einmal mehr geht ein Gespenst um in Europa, oder vielmehr: es sitzt, die Beine auf dem Couchtisch, den Mund voll Kartoffelchips und die Finger auf der Fernbedienung in fieberhafter Aktivität; ein Gespenst, das sich, wenn es nicht gerade durch seine 30 Kabelkanäle zappt oder am joy-stick zerrt, bevorzugt Videos mit Action, Gewalt und Pornographie reinzieht. Dieses Gespenst ist Protagonist unzähliger apokalyptischer Szenarien vom Niedergang der Kultur, insbesondere auch der Buch- und Lesekultur. Zwar verzeichnet der Buchmarkt — ganz im Gegensatz etwa zu Videotheken — nach wie vor Auflagen- und Umsatzsteigerungen, aber Studien über das Medienverhalten zeigen, daß das Lesen — zumindest das Lesen von Büchern aus Gründen der ›Un-terhaltung‹ und ›Erbauung‹ — immer weniger in die Strukturen kultureller Sozialisation und sozialer Interaktion paßt. Auch daß der Börsenverein des Deutschen Buchhandels im Frühjahr 1994 unter dem Motto »Bücher sichern die Zukunft« eine großangelegte Kampagne zur Stärkung der Buchkultur gestartet hat, zeugt eher von Besorgnis als von Optimismus. Und schließlich scheint auch die Welt jenseits der Bücher wieder seltener auf die Schrift zurückzugreifen. Selbst die Unterschrift als Signatur der Individualität wird durch die PIN — Nummern der Scheckkarten verdrängt; weit komplexere Modelle des Identitätsausweises über Fingerabdrücke, Netzhautmuster oder genetische Codes sind in Vorbereitung.

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-476-03544-8_35

Full citation:

Struck, W. (1995)., Medienwelten, in M. Pechlivanos, S. Rieger, W. Struck & M. Weitz (Hrsg.), Einführung in die Literaturwissenschaft, Stuttgart, Metzler, pp. 395-401.

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