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Der Gegenstand ohne Begriff und die Schichtung der Erfahrung bei Husserl und Kant

Michela Summa

pp. 133-145

Die Unterscheidung von Ästhetik ist ein zentraler Punkt in Husserls Auseinandersetzung mit Kant. Wie andere Aspekte dieser Auseinandersetzung beweist er sowohl die Nähe als auch die Distanz zwischen beiden Denkern. Dies lässt sich deutlich aus Husserls eigenen Texten entnehmen. Einerseits schätzt Husserl nämlich diese Unterscheidung als eine der „gewaltigen Entdeckungen“ Kants (Hua VII, S. 404; vgl. auch Hua V, S. 30). Andererseits aber kritisiert er sie aufgrund ihrer Voraussetzungen und Implikationen. Als Voraussetzung der kantischen Unterscheidung von Ästhetik und Analytik zählt laut Husserl insbesondere die Lehre der Vermögen des Gemüts; als Implikationen zählen der schroffe Gegensatz zwischen Sinnlichkeit und Verstand und der Mangel an angemessenen Betrachtungen der konstitutiven Leistungen, die schon auf der sinnlichen Ebene stattfinden (Hua VII, S. 420 ff.).1 Husserls Einwand ist folglich eng mit seiner allgemeinen Anthropologismus-Kritik verbunden und richtet sich in erster Linie gegen die Annahme der Vermögen des menschlichen Gemüts als Grundlage für die Unterscheidung der Quellen aller Erkenntnis. Dieser Annahme gemäß entsprechen der Anschauung und dem Begriff jeweils die Vermögen der Sinnlichkeit und des Verstandes (vgl. KrV, B 74–88/A 50–64). Somit erweisen sich die vermeintlichen apriorischen Gesetze der Erkenntnis in der Kritik der reinen Vernunft als nur für das menschliche Subjekt gültig (und nicht z. B. für Gott) (Hua VII, S. 397; 357 ff.).2 Und das kollidiert deutlich mit Husserls Begriff des Apriori. Denn letzterer definiert die Wesensgesetze, die prinzipiell für jedes mögliche und auch nur denkbare Subjekt gültig sein müssen.3 Damit verbunden ist der Einwand gegen die scharfe Trennung von Sinnlichkeit und Verstand, so wie derjenige gegen die darin implizierte Mangelhaftigkeit in Kants Theorie der Sinnlichkeit: Da Sinnlichkeit aufgrund jener Trennung jeder Synthesis entbehrt, könne Kants Transzendentale Ästhetik nicht als eine selbstständige Theorie der Wahrnehmung betrachtet werden.

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-319-01710-5_9

Full citation:

Summa, M. (2014)., Der Gegenstand ohne Begriff und die Schichtung der Erfahrung bei Husserl und Kant, in F. Fabbianelli & S. Luft (Hrsg.), Husserl und die klassische deutsche Philosophie, Dordrecht, Springer, pp. 133-145.

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